Luca Cottier

Suche nach der neuen Skulptur

Man könnte meinen, eine neue Form zu finden sei einfach, man zeichne auf ein Blatt, was die Fantasie eingibt, zweidimensional, dreidimensional, wie auch immer. Luca Cottier weiss, dass eine neue Form finden ein Ringen ist. Künstlerische Schwerarbeit. Die vielen Bleistift-Skizzen und Zeichnungen in seinem Atelier beweisen es.
Es geht Cottier um nicht weniger als darum, Grenzen zu sprengen: die ästhetischen Grenzen des Gewohnten, aber auch die Grenzen der eigenen Phantasie; «sich selber zu hinterfragen, ist enorm wichtig», sagt er. So steht man dann überrascht vor einer locker über einen Stuhl hängenden Jacke, vor einer Art Unterteil eines Hirschebers, vor einer reliefartigen Plastik mit herausragenden Kniestücken. Die allerdings keine Jacke, kein Tier und keine Knochen mehr sind, sondern eben Skulptur. Wo Zwischenräume und Höhlungen so viel gelten wie die positive Masse. Sein Denken geht vom «Raum» aus, kreist um die «Grundform», beschäftigt sich mit den «Volumen» und bearbeitet die «Oberfläche». Derzeit beschäftigt ihn die «Komposition» verschiedener Elemente. Der 1994 Geborene hat die Steinbildhauer-Lehre beim Frutiger Bildhauer Reto Steiner gemacht – der mit den verschiedensten Materialien arbeitet und auch Installationen schafft. Heute hat Cottier ein eigenes Atelier in Freiburg/Fribourg und nennt sich «Autodidakt».
Um nicht in einem Formenkanon gefangen zu rotieren und um sich selber zu überlisten, sammelt er Objekte aus Natur oder Alltag und macht sich daran, deren Formen weiterzuentwickeln. In Dutzenden Varianten. Steht eine Idee, beginnt er sie in Gips zu bauen, dem Medium, das ihm im Moment am meisten Gestaltungsmöglichkeiten gibt, mit dem er Volumen aufbauen, aber auch reduzieren kann und die verschiedensten Oberflächen gestalten. «Doch habe ich auch den Widerstand dieses Materials gern.»
Wenn er nicht mehr weiter weiss, verlässt Cottier das Atelier und sieht sich wieder draussen um, in der Natur, im Naturhistorischen Museum. Er hat schon Zähne als Ausgangsformen genommen, das Becken eines Marders, eine Spraydose, Eierschalen; Organisches und Geometrisches mischt sich. Manchmal hilft ein eigener Fehler, die Skulptur kreativ weiterzuentwickeln. Entstehen soll eine neue Formensprache. Wobei Cottier unermüdlich nicht nur über seine Werkstücke nachdenkt, sondern auch Meistervorbilder studiert: Alfred Hrdlicka, Hans Josephson, Fritz Wotruba, Alberto Giacometti, Cy Twombly – und afrikanische Skulpturen.
Wann ist eine Skulptur fertig? Cottier zögert und erklärt dann, dass es keine äussere Macht gibt, die einem sage, dass die Arbeit «fertig» sei. Ohnehin gehe es vielleicht nur um einen «Stillstand im Prozess». Jedenfalls richte er sich nicht nach dem, was Betrachterinnen und Betrachter empfinden könnten. «Das überlege ich nie; da ist nur der Wille zu gestalten.» Er ist radikaler Bildhauer. «Ich will einmal eine Skulptur machen, die mich umhaut», sagt er selbstbewusst, und fügt bescheiden hinzu: «Derzeit bin ich am Lernen.»
November 2019, Willi Wottreng
 
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